
Endlich raus - aber wie?
April 2021
Die Welt war noch immer nicht ganz offen. Aber zumindest ein bisschen.
Nach monatelangen Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Grenzschließungen durften wir endlich wieder raus aus Tirol – und raus aus dem Alltag, der sich inzwischen wie ein Käfig anfühlte.
Mein Ziel: Belgien. Meine Familie. Menschen, die ich über ein Jahr lang nicht mehr umarmen konnte.
Nur – wie sollte ich da hinkommen?
Damals sah ich mich noch nicht in der Lage, die lange Strecke alleine mit dem Auto zu fahren. Also blieb nur eine Option: Zugfahrt. Ganze 12 Stunden.
Mit dabei: Ich mit FFP2-Maske, ein viel zu schwerer Rucksack mit Gepäck für drei Wochen – und Joker, ein Jungspund bereit die Welt zu entdecken.

Vorbereitung statt Planlosigkeit
Aber einfach losfahren – das kam für uns nicht in Frage. Ich wollte Joker vorbereiten, so gut es nur ging.
Wir übten. In kleinen Schritten, mit viel Ruhe und Geduld.
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Zu Fuß zum Bahnhof – nur 300 Meter von unserem Zuhause entfernt
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Eine Station mit dem Zug fahren (ca. 2 km)
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Dann zu Fuß wieder nach Hause
So lernte Joker das Bahnsteiggefühl kennen. Das Rollen der Koffer. Die Vibrationen beim Losfahren. Den Luftzug, wenn ein Zug einfährt. Und ich sah: Er kann das schaffen – wir können das schaffen.
Maulkorb – kein Drama, sondern Training
Joker trug seinen Maulkorb wie ein Profi, auch wenn mir das Herz dabei jedes Mal ein bisschen schwer wurde.
Aber: Er war es gewohnt. Wir hatten das Tragen langsam und positiv aufgebaut – mit Leckerlis, Lob und vielen kurzen Einheiten.
Für ihn war der Maulkorb kein Drama, sondern einfach ein Teil des Alltags.

Als der Tag gekommen war...
… hätte ich vor lauter Nervosität am liebsten alles gecancelt. Der Rucksack war gepackt, das Ticket gedruckt, Joker vorbereitet – aber mein Bauch machte Purzelbäume. Ich dachte wirklich, ich
müsste mich übergeben. So aufgeregt war ich.
Ivan fuhr uns nach Kufstein zum Bahnhof. Ich weiß noch, wie ich versuchte, mich zusammenzureißen, als wir aus dem Auto stiegen. Joker war entspannt. Ich nicht.
Und dann ging’s los.
Erstmal nach München – eine Strecke, die ich kannte. Aber diesmal fühlte sich alles anders an. Ich trug meine FFP2-Maske, Joker seinen Maulkorb. Die Menschen schauten, einige lächelten, andere
machten lieber einen Bogen um uns. War mir recht. So hatten wir mehr Platz.
In München mussten wir zum ersten Mal umsteigen. Joker meisterte das Gewusel am Bahnsteig mit erstaunlicher Ruhe. Ich war stolz – und gleichzeitig angespannt wie ein Flitzebogen.
Eigentlich hätten wir erst in Frankfurt das nächste Mal umsteigen sollen. Aber dann: technischer Defekt. Ein ungeplanter Halt in Stuttgart. Und plötzlich war alles durcheinander.
Plan B? Gab’s nicht. Nur Augen zu und durch.
Ich fragte mich durch, checkte Apps, versuchte, Joker nicht meine Hektik spüren zu lassen. Irgendwie schafften wir es weiter nach Köln – wieder umsteigen. Wieder Treppen, Rolltreppen, Lifte, Gänge, Lautsprecheransagen. Und Joker? Lief einfach mit. Als hätte er nie etwas anderes gemacht.

Die vorletzte Etappe: von Köln nach Aachen
… war wie ein Ausklang in Zeitlupe. Der Waggon fast leer, kein Schaffner weit und breit, nur das gleichmäßige Rattern der Gleise. Ich war müde, durchgeschwitzt und einfach nur dankbar.
Ich schaute meinen müden, tapferen Hund an – und gab den Widerstand auf. Zum ersten Mal an diesem Tag durfte er auf den Sitz neben mir.
Er rollte sich aber nicht ein. Nein – er setzte sich aufrecht hin, schaute aus dem Fenster und beobachtete die Welt da draußen, als würde er sie verstehen.
Ich glaube, in dem Moment haben wir beide tief durchgeatmet.
Dann kamen wir in Aachen an. Ich sah meinen Vater schon von Weitem am Bahnsteig.
Nach über einem Jahr konnten wir uns endlich wieder in den Arm nehmen.
Und Joker? Der stand da, schwanzwedelnd, ließ sich sofort von Opa Belgien begrüßen – als hätte er gewusst: Hier sind wir richtig.
Von dort aus fuhren wir noch eine knappe Stunde weiter – bis über die Grenze nach Belgien.
Nach 14 Stunden Reise, fünfmal umsteigen, Maske, Maulkorb, Menschenmassen und jeder Menge Adrenalin waren wir angekommen.
Zu Hause. In der Heimat. Und ein kleines bisschen auch über uns selbst hinausgewachsen.

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